Der verheiratete Harry Hirsch setzt seine Freundin Lola als Erbin ein. Seine Kinder enterbt er. Hirsch ist sehr vermögend. Nach seinem Tode begeben sich Frau Hirsch und die Kinder zum Nachlassgericht, um das Testament anzufechten. Sie sind der Meinung, dieses verstoße gegen die guten Sitten. Gemäß § 138 BGB ist ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, nichtig. Der in der Praxis wichtigste und in der rechtlichen Beurteilung problematischste Fall im Bereich des § 138 BGB ist das sogenannte Geliebtentestament (früher auch „Maitressentestament“ genannt).
Achtenswerte Motive. Bis Mitte letzten Jahrhunderts war die Rechtsprechung in diesen Fällen sehr sittenstreng. Erst 1970 änderte der BGH seine Meinung. Er vertritt seitdem die Auffassung, dass die Sittenwidrigkeit durch besondere „achtenswerte Motive“ verdrängt werden kann. Seitdem ist die Rechtsprechung dem allgemeinen Wandel der gesellschaftlichen Auffassungen gefolgt. Die vom Erblasser getroffene Verfügung soll ein Gericht grundsätzlich nicht an seinen persönlichen Gerechtigkeits- und Sittenvorstellungen messen, um den Willen des Erblassers zu korrigieren. Maßgeblich für die Beurteilung ist die Frage der Sittenwidrigkeit der Verfügung. Die moralische Bewertung eines Verhaltens ist von untergeordneter Bedeutung. Das Bestehen ehebrecherischer oder ehewidriger Beziehungen allein führt nur noch dann zur Nichtigkeit der Verfügung, wenn nur sexuelle Motive ausschlaggebend waren – sei es zur Entlohnung für die Beziehung oder als Anreiz zur Fortsetzung der geschlechtlichen Beziehung. Bei länger dauernden Verbindungen ist dies nicht die Regel, sondern die zu beweisende Ausnahme, weil sich solche Beziehungen nicht im sexuellen Bereich zu erschöpfen pflegen.
Erbrachte Leistungen. Als Beurteilungsmomente kommen in Betracht:
Grundsätzlich ist der Erblasser befugt, ohne nähere Gründe von der gesetzlichen Erbfolge abzuweichen; das Pflichtteilsrecht sichert die nahen Angehörigen. Entscheidend für die Bewertung einer Verfügung ist deren Gesamtcharakter, für den Inhalt und Wirkungen der Beweggrund des Erblassers und der verfolgte Zweck maßgebend sind. Nach Ansicht des BGH kann die Zuwendung schon gültig sein, wenn neben einer erotischen Beziehung zu einem Partner auch andere achtenswerte Beweggründe maßgebend waren. Entscheidend kommt es auf die Auswirkungen der Verfügung für den Bedachten einerseits und für die Zurückgesetzten andererseits an. Die Beweislast für die Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit trifft denjenigen, der sich darauf beruft. Diese Grundsätze gelten auch für lebzeitige Übertragungen von Vermögenswerten.
Wichtige Entscheidung. Das OLG Düsseldorf hat in einer lesenswerten Entscheidung (nachzulesen in FamRZ 2009, 545 bis 547) die Sittenwidrigkeit eines Testamentes verneint, obwohl dieses zu Miteigentum der Geliebten und der Ehefrau an dem von der Frau bewohnten Haus führte. Erwähnt – aber nicht angewandt – wurde in dieser Entscheidung sogar das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten vom 20.12.2001. Die Lösung des Ausgangsfalles: Frau Hirsch und ihre Kinder werden mit ihrer Anfechtung scheitern, es sei denn, sie können darlegen und beweisen, dass die Einsetzung der Lola ausschließlich den Zweck hatte, geschlechtliche Hingabe zu belohnen oder zu fördern.
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Erbrecht und Familienrecht